Ernährung, Gesundheit und soziale Ordnung
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Der ‚Risikofaktor‘ Ernährung – Die Geschichte des Risikofaktorenmodells für Herzkreislauferkrankungen in der DDR und BRD, 1960er bis 1980er Jahre

Stefan Offermann (Universität Leipzig)

Das Teilprojekt untersucht in transfer- und verflechtungsgeschichtlicher Perspektive die Karriere des US-amerikanischen Risikofaktorenmodells in DDR und BRD von den 1960er bis 80er Jahren. Seit den späten 1940er Jahren im Verlauf großangelegter Bevölkerungsstudien entwickelt, identifizierte das Modell anhand statistischer Verfahren eine bis dahin ungekannte Bandbreite an sog. „Risikofaktoren“ für Herzkreislauferkrankungen. Fetthaltiges Essen respektive ein hoher Cholesterinspiegel, aber auch Bewegungsmangel und Rauchen galten der neuen Disziplin der Chronic Disease Epidemiology als besonders signifikante „Risikofaktoren“. Die Konstitution dieses neuen Wissens entwickelte sich einerseits vor dem Hintergrund des epidemiologischen Übergangs weg von Infektionskrankheiten hin zu Herzkreislauferkrankungen und Krebs als häufigste Todesursache in modernen Industriestaaten, und andererseits im Kontext des nachhaltigen Wandels von einer Ernährungssituation des Mangels zu einer des Überflusses. Mit seinen neuen Formen der Vermessung und Quantifizierung des Körpers sowie der konsequenten gesundheitspolitischen Ausrichtung auf individuelle Verhaltensprävention stellt das Risikofaktorenmodell eine wichtige Zäsur in der Geschichte der Verwissenschaftlichung und Medikalisierung von Ernährungspraktiken dar.

In einem langen und konfliktreichen Prozess konnte sich die Risikofaktorenmedizin in den späten 60er und frühen 70er Jahre in DDR wie BRD durchsetzen. Ein wichtiger Faktor dabei war die transnationale Angleichung ernährungs- und gesundheitspolitischer Leitbilder über Block- und Gesellschaftssystemgrenzen hinweg, wofür die Politik der WHO, der beide deutsche Staaten 1973 beitraten, Ausdruck und Motor war. Im Fokus des Projekts steht die Frage, wie sich in Ost und West im Kontext der neuen Risikofaktorenmedizin das Verhältnis von Gesundheit und Ernährung wandelte und dabei neue Selbstverhältnisse und Subjektivierungspraktiken entstanden. Im Vergleich der beiden Gesellschaftssysteme gilt es gleichsam der Frage nachzugehen, welche Effekte die zunehmende gouvernementale Anrufung eines eigenverantwortlichen präventiven Selbst auf eine illiberale Machtordnung haben kann.

Leitung: Prof. Dr. Maren Möhring


Stefan Offermann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Vergleichende Kultur- und Gesellschaftsgeschichte des modernen Europa am Institut für Kulturwissenschaften der Uni Leipzig.

Website Stefan Offermann (Universität Leipzig) …


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